Birgit Poppe: Ludmilla von Arseniew – Bilder vom Wasser

„Wasser“ ruft vielfältige Assoziationen hervor, die eng mit der Natur verknüpft sind: weites Meer, lange Flüsse und Kanäle sowie große und kleine Seen, Teiche und Tümpel, die in die Landschaft eingebettet sind. Farblich verbindet der Betrachter Wasser mit Blau, Grün oder Grau, doch eigentlich ist das erfrischende Nass eher transparent und glasklar oder trüb. Der homogene Stoff kann sich aus einzelnen Tropfen zusammensetzen, spiegelglatte Flächen bilden oder sich in wildbewegten Wellen offenbaren. Wasser plätschert, rauscht oder tost, handelt es sich doch primär um eine Flüssigkeit, die ihren variablen Aggregatzustand in vielerlei Gestalt verändern kann – in Dunst oder Nebel, in Regen und Schnee.

Alle Aspekte dieses Phänomens dokumentiert die Ausstellung „Bilder vom Wasser“ der Düsseldorfer Künstlerin Ludmilla von Arseniew (geb. 1939 in Wilna/Litauen), die sich seit 1995 auf dieses komplexe Thema konzentriert. Bei den Werken handelt es sich in erster Linie um Acryl-Bilder auf Leinwand und Papierarbeiten verschiedener Techniken, wie Aquarelle, Gouachen und Zeichnungen aus den Jahren 1995-2002. Inhaltlich sucht die Künstlerin immer die direkte Konfrontation mit dem Wasser, indem sie interessante Perspektiven und überraschende Ausschnitte wählt, mal im Charakter traditioneller Landschaftsbilder, mal in Form fast schon abstrakt anmutender Wasserflächen. Doch auch wenn die Titel verraten, dass es sich um topografisch genau bestimmte Landschaftsausschnitte handelt, wie beispielsweise im Falle Venedigs, wo in „(Lagunen-Schwüle) steht“ (2000) die Stadtsilhouette noch zu erahnen ist, so ist doch das zentrale Motiv das Wasser, das die Bildfläche bestimmt. Beinhalten Bilder vom Wasser auf den ersten Blick etwas Allgemeingültiges, so als sei Wasser überall dieselbe Materie, demonstrieren die Darstellungen letztendlich doch etwas Individuelles bzw. für die Region Typisches, sei es in Italien das Venezianische Wasser („Venedigwasser sehr hell“, 2001) oder „Arno-Fluß“ (1997), in Frankreich die Seine („Seine-Licht“, 2001) oder in Holland das Meer („Zeeland-Zyklus“, 1999/2000).

Die Bilder vom Wasser der Ludmilla von Arseniew sind immer als Gratwanderung zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion zu verstehen. In leichtem und doch bewusst akzentuiertem Pinselduktus, mal glatt und mal wirbelig, mal statisch und mal schwingend, gibt die Künstlerin in ihren Bildern und Zeichnungen diese Phänomene als unendliche Farbfelder wieder, die in ihrem eigenen Rhythmus als exquisite Form- und Farbgefüge weit über die Realität hinausweisen. Reales erscheint vermischt mit Surrealem, Gegenständliches mit Abstraktem. Im Kontrast zu ihren farbintensiven Werken gestaltet Ludmilla von Arseniew zarte und filigrane Zeichnungen in unterschiedlicher Technik. In „Kanalwasser“ (2000) benutzt sie für ihre weiche Linienführung einen japanischen Schreibpinsel und entwickelt damit eine prägnante Kurzschrift. Mit Filzstift und Tintenroller skizziert sie flüchtige Linien und Chiffren in „Wasser bis zum Horizont“ (2000) und in „Aufgeregtes Wasser“ (2001). Allen Werken gemeinsam ist die freie Linienführung, mal abgesetzt, mal durchgezogen.

Auffällig ist beim Bildaufbau stets die Dominanz der Horizontallinien, die sich schon in Ludmilla von Arseniews frühen Werken, besonders in den „Wolkenbildern“ der 70er Jahre finden. In den Bildern vom Wasser ist der Horizont oft ein wie mit dem Lineal gezogener Strich, der die Wasserfläche vom Himmel trennt. Manchmal werden die Horizontallinien nun aber von strengen Vertikalen oder Diagonalen abgelöst. Helle Flecken, die die lichten Spiegelungen auf dem Wasser wiedergeben, formieren die Bildzentren, von denen das Auge angezogen wird. Sie setzen Akzente in die Flächen der Meere, Seen oder Flüsse. Sich organisch entfaltende Sonnenreflexe bilden strahlende Kontraste zur Dunkelheit und Trübe der Wassertiefe.

Parallel dazu thematisiert die Künstlerin das Wasser aber auch als Niederschlag, indem sie ihre Leinwände in ganz unterschiedlicher Manier mit Regentropfen oder Schneeflocken („Schneefallen“, 1999 und „Schneien“, 2001) überzieht. Denn perlt in „Regen“ (2001) das Wasser in Form von Tropfen von einer Fensterscheibe, so besitzen diese in „Regnen (Meer)“ (2001) differenzierte helle, ringförmige Konturen. Als Kontrast zu den Bildern vom Wasser ist in Gelb- und Orangetönen die Darstellung der sonnendurchglühten Bergwüste („Lendas III“, 1999) entstanden, die ebenfalls spezielle akzentuierte Strukturen aufweist.

Ludmilla von Arseniew schilderte schon immer ihre ganz persönliche Sicht auf Landschaften, Orte und elementare Gegebenheiten, denn, so sagt sie: „Ich male, was mich bewegt.“ Die Themenwechsel waren meistens auch mit einem Handschriftenwechsel verbunden.

Von den frühen „Figurenbildern“ (1965-67) gelangte sie schließlich zur Landschaftsmalerei. In den „Wolkenbildern“ (1967-79) setzte sich die Künstlerin auch schon vor den Wasserbildern in weitgehend abstrahierter Form mit meteorologischen Phänomenen auseinander und verbildlichte mit der waagerechten, streifenförmigen Anordnung von Horizontlinien ihre Vorstellungen von Unendlichkeit, Grenzenlosigkeit und Allgemeingültigkeit.

Es folgten in den Jahren 1979-85 die „Städtebilder“ von Venedig, Leningrad und Hamburg sowie 1985-90 die „Römischen Bilder“. Auf den Rückfahrten von Rom entdeckte Ludmilla von Arseniew das Markgräfler Land als weitere Station für ihre Motivsuche. Dort interessierten sie vornehmlich die speziellen Strukturen innerhalb der Natur, eine an sich biologische Fragestellung, die sie jedoch ins Künstlerische übertrug. Ihre Intention war es, diese Strukturen aufzuspüren und sie in Formen umzusetzen, die zur Bildorganisation beitrugen. Nach dem Zyklus Römische Bilder“ folgte das Thema „Felder“, wobei es sich zumeist um Weinfelder („Weinbergbilder“ 1990-95) handelte.

Das „Feld“ ist ein grundlegendes Element, das das Werk der Ludmilla von Arseniew durchzieht. Ein Feld versteht sie als grundlegende „Strukturform der Bildorganisation“ und meint damit nicht nur das sichtbare Ackerfeld, sondern ganz allgemein das aus der Physik bekannte Kraft- oder Energiefeld. Von der Kohärenz fester Strukturen ausgehend interessiert sich die Künstlerin hauptsächlich für die Konsistenz der flüssigen Substanz, indem sie sich fragt:

„Wie kommt es, dass Wasser nicht auseinanderfällt?“ Künstlerische Fragestellungen verknüpft Ludmilla von Arseniew demnach mit naturwissenschaftlichen, wie hier physikalischen Erkenntnissen. Es ist also weniger das Wasser als Oberfläche oder Reflex, das sie fasziniert, sondern das Phänomen Wasser als Wahrnehmung eines inneren Zusammenhangs. Sie will „aufeinanderbezogene Wirkungen“ darstellen, wie man sie von elektromagnetischen Feldern kennt. Ein wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist für Ludmilla von Arseniew der des „Wirklichkeitsfeldes“. In der Ausstellung „Felder WASSER Felder (Reichsabtei Aachen-Kornelimünster 1998) spielte aber auch bereits das Thema „Wasser“ eine wichtige Rolle.

Schon viele Künstler waren im Laufe der Kunstgeschichte fasziniert vom Bildmotiv des Wassers. Maler wie der Romantiker William Turner (1775-1851), der Impressionist Claude Monet (1840-1926) und der Expressionist Emil Nolde (1867-1956) widmeten sich in ganz unterschiedlicher Manier mit Vorliebe dem Farbenspiel und der Formenvielfalt des Wassers in der Landschaftsmalerei. Mag man bei Ludmilla von Arseniew aufgrund der Selektierung, der fehlenden Umrisse und der pastelligen Farbwahl zuerst an Monet als wichtiges Vorbild erinnert sein, handelt es sich bei ihren Bildern dennoch nicht um impressionistische Kunst, denn diese thematisiert rein visuelle Aspekte und bezieht sich primär auf die sichtbare Oberfläche. Deshalb vermisst die Künstlerin bei Monet die „spirituelle Tiefe“. Dagegen ist Ludmilla von Arseniew mehr von Cézanne überzeugt, der zwar wie die Impressionisten die geschaute Wirklichkeit in Formen und Farben auflöste, dies aber mit dem „inneren Sehen“ begründete, das eine zweite Schicht berührt und reflektiert. Wie Cézanne konzentriert sie sich auf die Form, denn „Farbe ist für mich selbstverständlich; Form dagegen nicht:

„Form muss erarbeitet werden!“ (Ludmilla von Arseniew).

Gleichzeitig fragt sie: „Wie kommen Formen zustande?“ Aufgrund der Perspektive und der gewagten Ausschnitte meint man Anklänge an die moderne Malerei zu erkennen, dennoch handelt es sich hier nicht um Farbfeldmalerei. Auch wenn manche Werke der Künstlerin schon abstrakt anmuten, bleibt sie dem realen Gegenstand treu, ähnlich wie Cézanne, bei dem der Bezug zur gegenständlichen Welt, die er in Farben und Formen auflöste, trotz abstrahierender Momente erhalten blieb. Rein abstrakte Bilder – wie zum Beispiel die des späten Wassily Kandinsky – formieren ihr eine zu artifizielle Welt. Gegenüber dieser Künstlichkeit bevorzugt Ludmilla von Arseniew doch die Realität, denn auch ihre diversen Bildzeichen in Form von Chiffren sind keine Phantasieprodukte, sondern nehmen immer Bezug auf die sichtbare Natur.

Die Ideenwelt der Ludmilla von Arseniew entspringt nicht allein der Biologie und Physik, sondern auch der Philosophie – sie absolvierte ein Philosophie-Studium – und der Religion. Die Künstlerin spielt mit der besonderen Ästhetik des Wassers, indem sie in ihren Bildräumen neue geistige Sphären erschafft. Werke wie „Der Atem des Sees“ (2000) oder „fast still“ (2001) drücken im Titel etwas Meditatives aus und verweisen auf Ruhe und Kontemplation. Für Ludmilla von Arseniew spielt die Religion, vor allem die russisch-orthodoxe, eine wichtige Rolle, und sie betont den göttlichen Anteil an ihrem schöpferischen Tun.

Malen ist für sie ein kontemplativer Akt, mit dem sie „an der geheimnisvollen schöpferischen Kraft Gottes teilnimmt“ (Ludmilla von Arseniew). „Malen ist beten“, beschreibt sie das Staunen, Erleben und Formulieren als Lobpreis und damit als entscheidenden Bestandteil ihrer künstlerischen Arbeit. Besonders das Bild der Seine „Seine-Licht“ (2001) bezieht sich mit seinen Weißanteilen und Goldakzenten auf die Ikonenmalerei, zwar nicht motivisch, so jedoch mit seinem weißen göttlichen Licht als sakrale Assoziation. Diese Bilder von Natur umgibt die spezielle Aura einer subjektiven Symbolik, die ohne den Menschen nicht denkbar ist. Eine Freundin der Künstlerin fasste dies einmal so zusammen: „Ihre Bilder sind die Transzendierung der Natur durch den menschlichen Geist“ (aus: Ludmilla von Arseniew, WEIN -berge -felder -stöcke, Zeichnungen, Markgräfler Museum Müllheim/Baden 1995).

Es geht Ludmilla von Arseniew also nicht um das rein Visuelle, sondern um die verschiedenen Tiefenschichten in ihren Bildern. Die „Bilder vom Wasser“ sollen nicht Abbildungen zum Wiedererkennen sein, es ist vielmehr der künstlerische Versuch, die Schicht dahinter sichtbar zu machen, die Sicht auf etwas, das in der Oberfläche nicht enthalten ist. Dabei berücksichtigt Ludmilla von Arseniew sämtliche Facetten sinnlicher Wahrnehmung, ob visuell, akustisch oder spürbar.

Das Licht spielt in ihren Bildern als Beleuchtungslicht keine Rolle, denn sie versteht es laut eigener Aussage als „Tiefenmesser“. Ihre Motive strahlen aus sich selbst heraus, sie senden ein eigenes Licht aus, das die Künstlerin als „sakrales Leuchtlicht“ (nach Wolfgang Schöne) bezeichnet. In diesem Zusammenhang entstanden die weißen Bilder „Glitzern“ (2000) oder „Swjerkanije (Glitzern)“ (2002), die glänzend und gleißend in ihrer Wirkung sind. Die Streuung des Lichts formiert sich zu einem verwischten Ganzen, das in Klarheit erstrahlt, die Trübe der Wassertiefe durchdringt und so das Element Wasser deutlich spürbar macht. In „Licht-Schneise“ (2001) ist der Horizont extrem hoch angelegt und geht als schmale Linie in die Fläche des Meeres über Der Lichtreflex erscheint wie über das dunkle Wasser gegassen und spitzt sich als dreieckiger Keil nach vor zu, wo er in kleine Striche zerfällt. Durch diese differenzierte Streuung einer verströmenden Lichtmaterie wird das Durchleuchten des Dunkels mittels heller Felder besonders deutlich. Dagegen zeigt das Werk „Licht-Wellen“ (2001) ein zartes, grün gelbliches, mit weißen Linien durchzogenes Gespinst. Es ist ein bizarres Geflecht diagonal zerfaserter schwingender Linien mit Haupt- und Nebenadern.

In „Echo-Licht“ (2000/2001) wurden die Wellen als rhythmische Vertikale verwirklicht, als verwischte und ausgefranste Schwünge, die parallel zueinander angeordnet sind. Immer wirken die Linien teils wie geordnet, teils wie zufällig und beliebig. Sie erscheinen schematisch und doch individuell.

Es gibt in den Bildern auch Hinweise auf bestimmte Tageszeiten, die ein entsprechendes charakteristisches Licht mit sich bringen, wie beispielsweise „Morgenblick“ (1998), „früh grau“ (2000) oder „Mittagsgeräusche“ (2000). Letzterer Titel bezeugt, dass Ludmilla von Arseniew auch akustische Signale mit dem Wasser verbindet, deren Schwingungsstrukturen sie in weiteren Werken wie „Hören und Sehen“ (2000) oder „Hörbild um 5.00 Uhr“ (2000) beschreibt. Die Künstlerin verbildlicht in ihren Werken musikalisches Denken, wenn sie die Farbtöne der „Bilder vom Wasser mit den Klangfarben verschiedener Instrumente vergleicht.

Ludmilla von Arseniew nutzt ihre Farben Ton in Ton, gern schimmernd, schillernd oder in zarten Abstufungen, die oft mit Weiß abgesetzt werden, denn auch ihre Farben sind lichthaltig. Das Dunkel und die Schatten werden ebenfalls in Farben übersetzt. Verwendet werden ganz unterschiedliche Blautöne bis hin zu Türkis, doch dominiert eindeutig Grün, mit Vorliebe ein bestimmtes feuriges Chromoxyd-Grün“ wie in dem Bild „Aus der Mitte heraus“ (2001), das von den Venedig-Aufenthalten inspiriert ist. Es zeigt die Stufen, die zu den Booten ins Wasser führen und sich aufgrund der Algen grün gefärbt haben. Dem Betrachter bietet sich die Ansicht einer intensiv grünen Farbfläche, in deren Vordergrund zentral und Ton in Ton von Hellgelb bis Dunkelgrün vier Querbalken als Stufenformen zu sehen sind. Viele der Meeresbilder besitzen keinen Horizont, sondern wirken als selbständige Farbfelder. Ludmilla von Arseniew versteht die Farben ebenfalls als besondere energetische Kräfte. Kleines Meer (blau) (1998) oder „Meltemi-Meer“ (2000) sind Farbfelder in verschiedenen Blautönen, mit etwas Weiß abgesetzt. Hier werden die Naturelemente wiederum in Farblichtgewebe transferiert.

So beschreibt Ludmilla von Arseniew anhand des Motivs Wasser phantasievolle Welten der Natur, die sich in ganz unterschiedlichen Zuständen präsentieren können und den ständigen Wechsel zum Programm machen. Die Künstlerin thematisiert extreme Gegenpole wie Ruhe und Bewegung oder Ganzheit und Auflösung, und es entstehen ausgewählte Ausschnitte der Wirklichkeit, die sie stark abstrahiert und als in sich verwobene Farbmuster visualisiert. Verbindlich ist ihr dabei das Prinzip der Einmaligkeit, das sie mit ihren Werken belegen will, indem sie zeigt, dass nichts wiederholbar ist. Sie entwickelt aus Farben, die locker und durchlässig sind, Bilder, die Klares mit Diffusem verbinden. Es sind einerseits Momentaufnahmen, andererseits Dokumente der Ewigkeit. Die „Bilder vom Wasser* der Ludmilla von Arseniew strahlen eine Intensität aus, der man sich nur schwer entziehen kann, und erreichen eine Vertiefung der Empfindungen. Sie zielen auf die intensive Wahrnehmung verschiedener Tiefenschichten, die über die bloße Registrierung des Phänomens Wasser weit hinausgeht.

Quelle: Birgit Poppe in Katalog `Ludmilla von Arseniew – Bilder vom Wasser´, Städt. Galerie im Schloßpark Strünkede, Herne, 2002